Hiroshima, eine Großstadt im Westen Japans, die viel zu erzählen hat - nicht nur wegen des größten Straßenbahnnetzes in Japan, sondern auch historisch durch den zweiten Weltkrieg bedingt. Recht weit in der Stadt verteilt finden sich noch Relikte aus der Zerstörung vom 6. August 1945. Die heutige Stadt ist lebendig und gut besucht, wodurch auch viel Bewegung herrscht. Auch neue interessante Dinge finden sich wieder, wie zum Beispiel eine Bier-Charterfahrt in einer Straßenbahn. Ein Bericht vom 08. bis zum 10. Oktober 2023.
Bereits bei der Ankunft war es schon fast dunkel. Kurz ins Hotel um das Gepäck abzuladen, um dann direkt wieder nach Hiroshima Bahnhof zurückzufahren - der Treffpunkt unserer zweiten Sonderfahrt. Im leichten Regen steht Wagen 1014 an der Station Fukuromachi (Google-Maps).
Als sich die Gruppe traf, war es bereits schon kurz vor der Einfahrt unseres Sonderzuges gewesen. Sobald fährt auch schon der Wagen 768 ein - unter dem Namen "Train Rouge" verkehrt dieser Partywagen nur auf Bestellung. Während der Wagen zu Corona-Zeiten nicht buchbar war, waren wir nach der langen Zwaangspause wohl die erste Gruppe, die sich den Wagen gemietet hatten. Im Wageninneren erhalten wir unsere alkoholischen Getränke - und ruckeln damit durch die Nacht Hiroshimas.
In Nishi-Hiroshima angekommen, wurde eine kurze Pause eingelegt bevor es wieder auf die Rückfahrt ging. Aus der neusten Generation 5200 ist die Garnitur 5204 vertreten, der nun den Straßenbahnabschnitt verlässt und auf die Eisenbahnstrecke nach Miyajimaguchi weiterfährt. Dass die Station recht großzügig gebaut ist hat den historischen Hintergrund, dass hier früher die Straßenbahn endete und auf die richtige Eisenbahn umgestiegen werden musste. Durch den Umbau der Eisenbahnstationen entfiel dann der Umstieg und die Geschichte der großen Eisenbahn endete durch die Straßenbahn.
Off-Topic: Von Frankfurt nach Hiroshima
Wir erinnern uns, als ein schlauer Herr (ich) auf die glorreiche Idee kam, gegen April 2023 paar Straßenbahnen in Frankfurt anzumieten und mit den Zielschildern zu spielen.
Mitunter wurden zu diesem Zwecke auch Zielschilder aus Hiroshima erstellt. Hintergrund dieser Ursprungsgedanke war, dass der Franfkurter L-Wagen eine Ähnlichkeit zu Hiroshimas Baureihe 70 besaß, welcher von Dortmund nach Hiroshima abwanderte. Da die Einsatzjahre doch recht kurz waren, sind auch kaum Bilder im Netz zu finden, aber zum Glück ließen sich zwei Ziele aufsuchen welche ich also nachbastelte. Der große Dank geht natürlich an den Frankfurter Straßenbahnverein der mir diese Gelegenheit gab.
Oben auf dem L-Wagen zu sehen ist die Anzeige "Hiroshima Bahnhof", links auf dem O-Wagen zu sehen die Anzeige "Koi". Station Koi ist mittlerweile umbenannt und heißt "Nishi-Hiroshima / Koi", also West-Hiroshima. Diese beiden Stationen sind auch die beiden Stationen, an denen wir mit dem Train Rouge gehalten haben.
Vielleicht lässt sich auch der Frankfurter Straßenbahnverein davon inspirieren und lässt paar Bier-Sonderzüge nebst dem Ebbelwei-Express fahren?
Am Folgetag waren weitere zwei Charterfahrten geplant. Die beiden bestellten Fahrten waren an diesem Tag nur für das Foto-Shooting angemietet worden und fuhren zwei verschiedene Routen. Die 15 Teilnehmer an diesem Tag, nahezu identisch mit den Personen des Vortags, begaben sich somit auf die Jagd nach den beiden Fahrzeugen. Da ich den Wagen 602 zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen hatte, folgte unser Auto-Team dem roten Wagen. Punkt 10:00 Uhr rückte dieser aus dem Betriebshof Eba aus (Nein, nicht Eisenbahnbundesamt - Google-Maps).
Der Wagen 602 hat die Besonderheit, dass dieser nicht aus Hiroshima stammt, sondern aus Norden Kyushus. Als der dortige Straßenbahnbetrieb aufgegeben wurde, wanderten einzelne Gebrauchtfahrzeuge nach Hiroshima, von denen nur noch dieser Wagen übrig geblieben ist. Im Vergleich zu den anderen Fahrzeugen erinnert die rot-beige Farbaufteilung an die Zeiten vor der Übernahme.
Über die Nacht hatte es recht stark geregnet, auch am Vormittag war der Boden nass. An der Haltestelle Yokogawa-1-Chome (Google-Maps) hatte der Wagen einen Aufenthalt aufgrund Vorfahrt anderer Züge. Die Standzeit nutzte ich, um ein Spiegelbild aufzunehmen. Das Bild ist um 180 Grad gedreht aufgenommen.
Kurz darauf fährt der Gegenzug aus dem Bahnhof Yokogawa heraus, sodass 602 nun auch reinfahren kann. An der Kreuzung wurde der Wagen vom Signal angehalten, womit aber eine Begegnung zweier Kyushuer ermöglicht wurde: Der Sanyo-Shinkansen wird auch von den Kyushu-Shinkansen befahren. Zwar haben sich die beiden nie in Kyushu getroffen, aber die Heimat ist dennoch dieselbe.
Was macht der andere Charterwagen? Der rückte zwar pünktlich aus dem anderen Depot heraus, steckte dann aber im Stau und kam entsprechend leider nicht so gut voran, sodass die ursprünglich geplante Begegnung der beiden Sonderwagen nicht möglich waren. Die Verspätung wurde langsam wieder eingefahren, doch reichte es auch an der zweiten geplanten Stelle nicht aus. Den Wagen 582 ohne Begegnung, stattdessen aber auf voller Fahrt konnten wir dennoch festhalten.
Ein dritter Versuch - endlich klappt es. Im Hintergrund der Hiroshima Bahnhof in seiner Umbauphase, im Vordergrund die Strecke, die bald durch eine Neubaustrecke in der Parallelstraße ersetzt wird und damit stillgelegt wird. Die Begegnung also in einem Abschnitt, der bald historisch sein wird. Da alle Teilnehmer sich zufällig an diesem Ort (Google-Maps) versammelt hatten, natürlich die wohl letztmalige Gelegenheit zu fotografieren, entstand eine kurze Applausrunde nachdem die Begegnung erfolgreich festgehalten wurde. Schnell aber zischten dann die Jäger mit ihren Fahrrädern oder Autos um die Verfolgungsjagd weiterzuführen.
Unsere Autotruppe natürlich auch. Unser Wagen stand einige Straßen weiter, weswegen wir circa zwei Stationen laufen mussten. Da wir aber zu Fuß schneller waren als die Straßenbahn, ließ sich noch ein Nachschuss an der nächsten Haltestelle ermöglichen. Hier an der Station Inarimachi (Google-Maps) ist auch die Kreuzung, wo derzeit die neue Weiche zu der Neubaustrecke eingebaut wird.
Zwischendurch noch an einigen Ecken paar Bilder gemacht, aber bevor mein Bericht noch länger wird als nötig, vorgespult bis kurz vor Ende. Vor der Endstation am Betriebshof ergab sich noch eine Möglichkeit, den Wagen auch mit einem baulich interessanten Hintergrund zu dokumentieren. Die von der Stadt erbauten Sozialwohnungen sehen vom Anblick her leicht Sowjet-mäßig aus, wonach sie wohl unter den Straßenbahnern auch Sowjet-Wohnungen genannt werden - natürlich nicht offiziell.
Nach der kurzen Mittagspause erhielten wir die Info, dass ein weiterer Altwagen aus dem Depot ausgerückt ist. So begab ich mich mit einem weiteren Mitfotografen an Danbara-1-Chome (Google-Maps) auf die Straßenbrücke, um den Wagen von oben zu fotografieren.
Wagen 653 gehört zu einer der vier Fahrzeugen, welcher durch die Atombombe zerstört wurde, aber danach wieder aufgebaut wurde und auch heute noch betriebsfähig erhalten ist.
Schneller Sprint an die Kreuzung. Während der Wagen auf das Signal wartete, konnte ich mich noch rechtzeitig positionieren. In der Stadt sind an vielen Stellen noch ältere Handpumpen zu finden, welche teilweise ebenfalls aus der Kriegszeit stammen dürften. Leider nicht in Gänze, dennoch ein Stückchen auf dem Bild zu erkennen ist eine solche Handpumpe.
Der Wagen kam schließlich vom Hiroshima Bahnhof zurück. Im Hintergrund ist die Straßenbrücke, wo ich vor einigen Minuten gestanden habe, gut zu erkennen. Der Wagen bewegte sich langsam in Richtung Westen Hiroshimas, sodass wir dann eine Abkürzung nahmen und über eine andere Strecke zum nächsten Fotopunkt huschten.
Auf Position an der Aioi-Brücke (Google-Maps). Auch unter der Bezeichnung "T-Brücke" bekannt, war dies das Ziel des "Little Boy" - der Flieger, der am 06. August 1945 über Hiroshima flog und an dieser Stelle die Bombe fallen ließ. Im Bildhintergrund zu sehen ist auch der Dom, damals ein Handelsgebäude, heute als einer der Gedenkstätten an die Atombombe.
Im Vordergrund durchfährt eine deutsche Straßenbahn - auch unter Siemens Combino bekannt, fährt dieser Niederflurwagen wie in Potsdam oder Freiburg auch, sanft durch die Stadt.
Auch Titel dieses Blog-Abschnittes: Zwei Protagonisten des zweiten Weltkrieges. Wie in den vorigen Abschnitten erzählt, sind Wagen 653 sowie der Dom beidesamt Erzähler der traurigen Vergangenheit. Wenn denn schon der Wagen 653, den ich erstmalig antreffen konnte und grundsätzlich nicht im Linienbetrieb, sondern nur auf besonderer Anfrage für lehrende Zwecke buchbar ist (somit also nicht für Spaß-Charterfahrten wie unsere), so wollte ich die beiden Geschichten auf ein Bild abbilden. Erfreulicherweise war in diesem Moment kein Autoverkehr im Vordergrund auf der sonst stark frequentierten Brücke, sodass diese Aufnahme auch entstehen konnte. Auch wenn im Vergleich zum vorherigen Foto des Combino im Hintergrund Personen und Autoverkehr zu sehen sind, dürfte dies der Beweis dafür sein, dass die Stadt nach den Jahren nun wieder auflebt und nicht nur die Menschen "lebendig" sind.
Den erfolgreichen Tag schloss ich mit ein bisschen Langzeitbelichtung ab. Man merkt doch, dass Hiroshima, zwar nicht vergleichbar mit Tokyo, eine Großstadt ist und auch eine wichtige Bedeutung in dieser Region hat. Auch bemerkenswert ist, dass die Straßenbahn die Industrialisierungsjahre überstanden hat und nicht zu U-Bahnen oder Busverkehr umgewandelt wurde, sondern erhalten geblieben ist. So lässt sich auch, wie der Wagen 653, lebendige Protagonisten unterschiedlichen Zeitalters weiter lebendig erhalten, wie auch diverse Fahrzeugbaureihen unterschiedlichen Ursprungs wie die 602.
Am Folgetag war es schon Zeit für die Heimfahrt nach Tokyo. Noch im Rush-Hour versuchte ich, seltene Gesichter der Straßenbahn zu fotografieren. Zufälligerweise waren an diesem Tag die einzigen beiden pink-beige gefärbten Garnituren 3003 und 3101 unterwegs und begegneten sich auf der Strecke. Das Treffen dieser beider Züge hatte es innerhalb des Fahrplanjahres nur drei Mal gegeben. Wie ich im Nachhinein erfuhr, war dies auch die letzte Möglichkeit gewesen, da kurz nach meinem Besuch ein weiterer Fahrplanwechsel stattfand, sodass die Verstärkerzüge, auf die sie zugeteilt waren, nunmehr nicht mehr existieren.
Trotz des doch recht kurzen Aufenthaltes konnte ich sehr erfolgreich viele Fahrzeuge dokumentieren. Der Besuch im Friedensmuseum hatte ich diesmal aus zeitlichen Gründen nicht mehr geschafft, hatte aber bereits 2019 meine Zeit genommen und die Geschichten angeschaut. Es war und ist mir auch weiterhin wichtig, die Vergangenheit Japans zu kennen - nicht nur weil ich darüber erzähle oder weil ich japanische Wurzeln in mir habe, sondern auch von unseren vorherigen Generationen und damit auch aus der Vergangenheit zu lernen, welche Fehler wir begangen haben - und auch, welche Fehler wir nicht noch einmal machen dürfen. Wie auch in 2019, verließ ich auch dieses Mal Hiroshima mit sehr unterschiedlichen Gefühlen.